Online-Marktplätze können die Kundenschnittstelle im Industrie- und Gewerbeversicherungsgeschäft für KMU revolutionieren. Die Voraussetzungen dafür, dass Versicherer gemeinsam eine Plattform aufbauen, sind heute so gut wie nie.
Im diesem ersten Teil der Serie erläutern wir, warum die Zeichen für den Aufbau eines branchenweit akzeptierten Marktplatzes derzeit so gut stehen. Im zweiten Teil werfen wir einen ersten Blick darauf, welche Schritte für den Aufbau nötig sind und wie ein Versicherungsmarktplatz aussehen könnte.

Marktplätze gelten als Mekka des Onlinegeschäfts. Kunden pilgern zu den etablierten Orten im Netz, um einen gebündelten Zugang zu den Angeboten verschiedener Anbieter zu erhalten. In den USA starteten 2016 bereits über 50 Prozent der Produktsuchen in Amazon und nicht in Google[1].

Der Kunde steht im Mittelpunkt. Er befragt das Web und das Web liefert Antworten.

Der Erfolg von Marktplätzen ist eine direkte Folge der Digitalisierung. Früher war das klassische Geschäft mit Zwischenhändlern der de facto Standard. Heute prosperieren im Netz der Direktvertrieb und das Marktplatzgeschäft. In beiden Fällen greift das zentrale Prinzip des Online-Vertriebs: Der Kunde steht im Mittelpunkt. Er befragt das Web und das Web liefert Antworten.

Die Chancen, dass sich Online-Marktplätze auch in der Industrie- und Gewerbeversicherung durchsetzen, stehen gut. Denn das Mittelstandsgeschäft erfüllt die grundlegenden Voraussetzungen: Es gibt standardisierte Produkte und einen hohen Bedarf nach Komfort. Kleine Prämien bei attraktiven Schadenquoten legen eine weitgehende Automatisierung von Vertriebsabläufen nahe.

Gleichzeitig ist die Bereitschaft der Kunden gestiegen, auch komplexere Produkte im Internet zu kaufen. Eine Versicherung online abzuschließen ist kein exotisches Szenario mehr. Noch offen ist hingegen die Frage, wem es gelingt, einen branchenweit akzeptierten Marktplatz aufzusetzen.

Katalytischer Effekt des Begriffs „Digitalisierung“

Die beste Chance, einen Online-Marktpatz für Industrieversicherungen zu etablieren, liegt in einem Zusammenschluss der Versicherer

Die beste Chance, einen Online-Marktpatz für Industrieversicherungen zu etablieren, liegt nach unserer Einschätzung in einem Zusammenschluss der Versicherer selbst – und nicht etwa bei Maklern oder Insurtechs. Denn einerseits stehen Versicherer unter Handlungsdruck. Es wird nur ein Amazon der Industrieversicherung geben. Andererseits sind sie gut aufgestellt. Schritt für Schritt verfolgen sie seit Jahren eher den Weg einer allmählichen digitalen Evolution als den einer plötzlichen, unkontrollierten Revolution: Ergebnisse sieht man sowohl im Underwriting als auch in der digitalen Schadenbearbeitung.

So haben sich viele Fortschritte der Versicherer außerhalb des medialen Rampenlichts vollzogen. In vertrieblicher Hinsicht hat diese Entwicklung mit der Bereitstellung von Webservices zum Teilen von Tarifen begonnen. Gewerbeversicherer sind damit online anschlussfähig. Auch die Standardisierung macht große Fortschritte. So belegen beispielsweise die erarbeiteten und geplanten BiPRO-Normen das große Engagement der Branche. Sie sind ein klares Bekenntnis, standardisierter zusammenzuarbeiten.

Gleichermaßen hat die Digitalisierung in den Bereich Schaden Einzug gehalten, getrieben aus der Not Schadenquoten zu verbessern. Dazu bauen Versicherer neue Fähigkeiten für eine automatisierte Schadenklassifizierung auf Basis von Predictive Models und nachfolgender Schadenbearbeitung auf. Für einen Marktplatz wird diese Fähigkeit offensichtlich eine Schlüsselstellung hinsichtlich der Kundenzufriedenheit und Akzeptanz einnehmen.

Im Gegensatz zu Insurtechs bringen Versicherer neben der Kapitalausstattung auch die Kundenbasis mit, um eine Plattform zu etablieren.

Weitere Gründe, warum die Zeit reif ist für den Aufbau eines gemeinsamen branchenweiten Online-Marktplatzes: Das Thema Digitalisierung steht per se bei allen Marktteilnehmern groß auf der Agenda und führt zu wesentlichen Investitionen. Im Gegensatz zu Insurtechs bringen Versicherer neben der Kapitalausstattung auch die Kundenbasis und die Markenstärke mit, um eine Plattform zu etablieren. Neben Setupkosten sind Investitionen in die laufende Weiterentwicklung des Marktplatzangebots nötig. Die Etablierung eines für alle Marktangebote zugänglichen Marktplatzes würde diese Möglichkeiten potenzieren.

Wer die Daten hat, beherrscht das digitale Geschäft

Marktplatzbetreiber haben Kontrolle über die Kundenschnittstelle und den direkten Zugang zu Kundendaten. Das ist mit einer der Gründe, warum Marktplätze für Versicherer so attraktiv sind. Denn Daten gelten als Währung des digitalen Zeitalters. Und der Kampf um die Kundendaten im Mittelstandsgeschäft zwischen Versicherern und Maklern ist längst in vollem Gange.

Das übergreifende Ziel aller Marktteilnehmer im Bereich KMU ist es, das Geschäft vollautomatisch ablaufen zu lassen – von der Ausschreibung über die Definition von Deckungsangeboten bis zur Schadensregulierung. Denn trotz des großen Potenzials ist das Mittelstandsgeschäft derzeit sehr kostenintensiv. Grund sind hohe interne Bearbeitungszeiten und zu viel manuelle Handgriffe trotz standardisierter Produkte.

Aktuell kontrollieren Makler die Kundenschnittstelle. Um die gesamte Prozesskette digital abzubilden, stoßen sie in typische Arbeitsfelder der Versicherer vor – zum Beispiel durch die Gründung von Managing General Agents (MGAs), die über das klassische Vermittlungsgeschäft hinaus als Versicherer ohne Kapital tätig werden.

Ein neutraler Marktplatz nimmt eine Schlüsselposition ein, um die Kundenschnittstelle zu besetzen.

Aus Perspektive der Versicherer lässt sich der Verkauf über Makler, Assekuradeure und andere Verkaufsorganisationen hingegen als Relikt der „alten Welt“ verstehen. Als Folge der Digitalisierung verringern sich Prozesskosten für Kundeninteraktionen. Digitale Beratungsservices und automatisierte Vergleichsmöglichkeiten könnten Zwischenhändler für Produkte im Mittelstand schon bald überflüssig machen. Der Zusammenschluss von Versicherern gewährleistet eine Produktvielfalt wie sie heute nur große Makler bieten. Ein neutraler Marktplatz nimmt dabei eine Schlüsselposition ein, um die Kundenschnittstelle zu besetzen.

[1] bloomreach: State of Amazon 2016 – http://go.bloomreach.com/rs/243-XLW-551/images/state-of-amazon-2016-report.pdf

Bildquelle: Fotolia / pranodhm