„Das Denken von Blockchain-Anwendungen geschieht meist durch die Hintertür“

Am 6. September wird mgm im Rahmen der Digitalisierungskonferenz solutions.hamburg den Thementrack „Driving Digital Transformation“ gestalten. Einer der Speaker dieses Tracks wird Dr. Michael Merz, Gründer und Geschäftsführer des Softwareunternehmens PONTON, sein. In einem Gespräch mit der mgm-Redaktion gibt er einen Vorgeschmack auf seinen Vortrag zum Thema „Einsatzpotenziale der Blockchain in der Industrie“.

Redaktion: Herr Dr. Merz, wie kam es zu Ihrem Engagement im Bereich der Blockchain?

Dr. Michael Merz: Ich bin von Haus aus Informatiker. Bereits als ich in den 90ern promoviert habe, habe ich mich mit Cryptocurrancies beschäftigt. Damals ging es in diesem Bereich vor allem um eCash. 2011 habe ich dieses Thema in Form des Bitcoins für mich persönlich wiederentdeckt. Zudem hatte ich einige Jahre zuvor mein Unternehmen PONTON gegründet. Unser Schwerpunkt ist B2B-Integration. Über die Jahre hinweg hat sich im Rahmen dieser Arbeit ein fachlicher Fokus auf die Energiebranche entwickelt. Innerhalb unseres klassischen Geschäfts unterstützen wir vor allem Energiehändler bei verschiedenen Prozessen. Durch das Zusammenführen dieser beiden Streams – mein privates Interesse an Bitcoin und Blockchain einerseits und unsere Marktposition als Integrator im Energiesektor andererseits – kam es zu Enerchain, einer Initiative, in der wir die Blockchain im Energiehandel einsetzen.

Redaktion: Was verbirgt sich genau hinter Enerchain?

Dr. Michael Merz: Wir haben im letzten Sommer damit begonnen, den Enerchain-Prototypen zu entwickeln. Dabei handelt es sich um eine Peer-to-Peer-Trading-Plattform, über die Händler ihre Großhandelsprodukte direkt miteinander handeln können – ohne einen Dritten in der Mitte. Es handelt sich also um einen klassischen Fall von Disintermediation. Der Energiehandel ist auch schon vorher ein komplett durchdigitalisierter Prozess gewesen. Beispielsweise handeln auch schon heute teilweise Robots – also Algorithmen, die bei den jeweiligen Händlern verortet sind – miteinander. Wir digitalisieren die Digitalisierung somit sozusagen noch einen Schritt weiter. Nun gehen wir mit Enerchain in Phase 2 über, in der wir den produktiven Betrieb starten wollen. Diesen Prozess beginnen wir gemeinsam mit 28 teilweise sehr großen Unternehmen. Hierfür muss das System vor allem ausfallsicher sein und für eine größere Zahl an Teilnehmern funktionieren. Darüber hinaus ist es sehr spannend, etwas zu organisieren, das keine zentrale Organisation besitzt, und Strukturen zu schaffen, wo vorher keine waren. Der erste Live-Trade soll dann Anfang Oktober über die neue Version des Systems stattfinden.

Redaktion: Lassen sich aus Enerchain Erfahrungswerte für andere Branchen gewinnen? Was würden Sie denjenigen empfehlen, die die Blockchain ebenfalls in ihre Geschäftsprozesse integrieren wollen?

Man kann in der Regel nicht linear von einem Requirement die Technologie ableiten und dann erwarten, dass die Blockchain herauskommt.

Dr. Michael Merz: Die zentrale Frage lautet: Wo passt die Blockchain und ist mein Projekt überhaupt „blockchainifizierbar“? Das Denken von Blockchain-Anwendungen geschieht meist durch die Hintertür. Man kann in der Regel nicht linear von einem Requirement die Technologie ableiten und dann erwarten, dass die Blockchain herauskommt. Diese Richtung ergibt nur in den seltensten Fällen Sinn. Man muss stattdessen analysieren, was die Versprechen und die Vorteile der Blockchain sind, und daraus ableiten, welches Geschäftsmodell dazu passt – also bottom-up statt top-down. Aus Managementperspektive ist diese Denkweise mit Sicherheit kontraintuitiv, weil man normalerweise das Requirement auf der Businessebene entwickelt und dann auf die technische Ebene herunterdekliniert. Das ist das Anspruchsvolle an Blockchain-Projekten: Folgt man dem klassischen Top-down-Prozess landet man im Normalfall neben der Capability der Blockchain. Dann ist es ineffizient, einfach nicht einsetzbar oder beliebig, weil man die Aufgabe genauso effizient auch klassisch lösen könnte. Daneben gibt es noch ein weiteres Thema: Was sind eigentlich die Kernelemente, die die Blockchain-Technologie charakterisieren? Hier sind beispielsweise die hohe Verfügbarkeit, die sehr kostengünstige Nutzbarkeit und die Kombinierbarkeit mit Kryptowährungen zu nennen. Wenn man alle Kernelemente identifiziert hat, verfügt man über eine Art Baukasten, in dem man diese Mosaiksteinchen kombinieren kann. Aus diesen Kombinationen kann man dann Antworten auf Fragen auf der Use-Case-Ebene konstruieren – und wenn man Glück hat, passt es. Aus meiner Sicht gibt es keine vernünftige Systematik, um aus einem Use-Case den Blockchain-Case abzuleiten. Das ist immer noch eine Frage der Kreativität, der Intuition sowie der Wissenskombination der Techniker auf der einen und der Business-Case-Entwickler auf der anderen Seite.

Redaktion: Herr Dr. Merz, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.