Über 4.600 Seeschiffe und knapp 1.600 Binnenschiffe machen auch auf Papier viel Arbeit: Eigentümerwechsel, Namensänderungen, Hypotheken, Ausflaggungen und einige andere Vorgänge müssen im Schiffsregister eingetragen werden. Zuletzt jährlich über 3.000 solcher Anträge plus rund 300 Neueintragungen bearbeitete das größte deutsche Schiffsregister am Hamburger Amtsgericht. Davon funktioniert jetzt vieles am Bildschirm und im Browser: In einem einzigartigen Projekt wurde das Schiffsregister in einem agilen IT-Projekt digitalisiert. mgm technology partners hat zusammen mit Dataport die Softwareentwicklung umgesetzt.

Kurz & knapp

  • In rund zwei Jahren wurden die Registerblätter des Hamburger Schiffsregisters mit rund 6.200 Einträgen in ein digitales, webbasiertes System überführt.
  • Abschied von den Papierregistern bringt Schnelligkeit und Service für Antragsteller sowie Arbeitskomfort für Rechtspflegerinnen und Rechtspfleger im Amtsgericht.
  • mgm und der öffentliche IT-Dienstleister Dataport zeichnen verantwortlich für die agile Softwareentwicklung.

Die neue Zeitrechnung im Jahr 2020 begann ganz ohne Feier, Feuerwerk und Festtagsreden: Bereits Mitte August schaltet das Amtsgericht Hamburg das Schiffsregister auf digitalen Livebetrieb um. Damit endete das auf Papier geführte Register, dessen Ursprünge bis zum Ende des 19. Jahrhunderts zurückgehen. Wo bislang Änderungen im Register ausgedruckt und doppelt unterschrieben werden mussten, funktioniert der Vorgang nun voll-digital und rechtskonform am Bildschirm und mit Signaturkarte.

Schiffsregister: Erste agile Fachverfahren-Digitalisierung der deutschen Justiz

Die umgesetzte digitale Lösung ist nachnutzungsfähig nach dem „Einer-für-Alle“-Grundsatz öffentlicher IT- und OZG-Leistungen.

Ende Oktober wurde das Projekt offiziell den Auftraggebern (Behörde für Wirtschaft und Innovation, Amtsgericht Hamburg und Behörde für Justiz und Verbraucherschutz Hamburg, BJV) übergeben. Zeitgleich hat bereits Bremen angekündigt, die Lösung von Dataport und mgm für ihr Schiffsregister mit rund 1.300 See- und Binnenschiffen zu übernehmen. Und auch weitere Bundesländer haben Interesse bekundet. Diese Erfolge zeigen: Die umgesetzte digitale Lösung ist nachnutzungsfähig nach dem „Einer-für-Alle“-Grundsatz öffentlicher IT- und OZG-Leistungen.

Das zusammen wäre bereits Grund für eine gebührende Feier des zusammen rund 20-köpfige Projektteams gewesen. Der eigentliche Grund der Freude liegt aber tiefer: In nur rund zwei Jahren und mit nur wenigen Monaten Verzögerung haben sie das erste Schiffsregister in Deutschland digitalisiert. Und noch viel mehr: „Das Schiffsregister ist das erste abgeschlossene Fachverfahren-Entwicklungsprojekt in der deutschen Justiz, das erfolgreich agiles Projektmanagement eingesetzt hat“, sagt André Basten, Leiter der Abteilung IT und Digitalisierung der BJV. Für ihn ist das Schiffsregister in mehrfacher Hinsicht ein Meilenstein in der deutschen Justiz. Eben auch wegen der agilen Vorgehensweise, aber auch weil es bezüglich Budget- und Laufzeittreue seinesgleichen in der Behördenwelt sucht. Und nicht zuletzt, weil es endlich die Lücke schließt neben Handelsregister und Grundbuch, die bereits seit Jahren elektronisch geführt werden.

Digitalisierungswunsch aus der Fachabteilung

Die Initialzündung für die Digitalisierung des Schiffsregisters kam auch und vor allem aus der Fachabteilung selbst. „Dieser ganze Papierbetrieb hier ist natürlich aus der Zeit gefallen“, meint Berit Pamperin-Herbst, Rechtspflegerin beim Schiffsregister des Amtsgerichts Hamburg. Beim Ortstermin stapeln sich auf und hinter ihrem Schreibtisch sehr viele dünne und mehrere Zentimeter dicke Akten. Sie arbeitet seit 1980 beim Amtsgericht, beim Schiffsregister sind es 15 Jahre. Jedes eingetragene See- und Binnenschiff und jedes Schiffsbauwerk ist in der Geschäftsstelle mit einer Registerakte vertreten, dazu lagern die meisten Verfahrensakten in den Räumen. Die älteste aufgefundene Eintragung stammt aus dem Jahr 1889.

Ich arbeite jeden Tag damit und finde das sehr schön im Vergleich zu früher.

Seit Mitte August gehören nun die digitalen Registereinträge zum Arbeitsalltag der fünf Rechtspfleger- und fünf Service-Kolleg*innen in der Geschäftsstelle des Schiffsregisters. „Ich arbeite jeden Tag damit und finde das sehr schön im Vergleich zu früher“, so Pamperin-Herbst. Es sei komfortabler, sie müsse etwa nicht mehr auf die zweite Unterschrift warten und könne alleine signieren. Darauf konnte sie sich über die ganze Projektzeit freuen, denn sie war als Fachanwenderin offiziell teilweise für das Projekt abgestellt. Aber auch alle anderen Kolleginnen und Kollegen der kleinen Fachabteilung konnten sich jederzeit in die agil-typischen Reviews alle 14 Tage einklinken, testen und Feedback geben. „Für den Wissensstand ist das super bei einem agilen Projekt“, so Pamperin-Herbst. „Ich finde das so richtig, in der bisher üblichen klassischen Projektstruktur würde ich lieber kein Softwareprojekt mehr begleiten.“

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Wirtschaft und Reeder für internationalen Service

Die zweite treibende Kraft, die langsamen Papierverfahren durch schnelle digitale Prozesse zu ersetzen, kam aus der Hafenwirtschaft, den Schiffseignern und Reedern. „Die Schifffahrt hat immer auch einen Anspruch an internationaler Kommunikation, die also auch über Zeitzonen hinweg funktionieren sollte“, so Tim Schneider, selbst ausgebildeter Rechtspfleger und Behörden-Projektleiter für das digitale Schiffsregister seit April 2020. Bislang funktionierte selbst der Antrag etwa von Schiffseignern oder Banken auf Registerauszug nur per schriftlichem Antrag, der per E-Mail oder Fax übermittelt wurde. Es folgte: Suche der Papierakte, Erstellung einer Kopie und Versand per Post. Dafür gibt es nun den digitalen Dienst innerhalb des Hamburg Service.

Damit solche Registerauskünfte und weitere Eintragungen auf den Registerblättern nur noch digital abgewickelt werde können, haben vor allem Aushilfskräfte in einem Kraftakt und Fleißarbeit alle Daten der über 6.000 aktiven Hamburger Schiffe in die neue Software übertragen. Nach Signierung der Rechtspflegerinnen und Rechtspfleger, dass Papierregister und Digitalregister übereinstimmen, werden die Schiffe offiziell und rechtskonform digital geführt.

Gesetzesänderung für voll-digitaler Prozess

Eine entsprechende Gesetzesänderung ist vorbereitet und soll bald in den Gesetzgebungsprozess kommen.

Der Registerauszug muss aktuell allerdings in einigen rechtlichen notwendigen Fällen weiterhin per Post übermittelt werden. Auch einen elektronischen und medienbruchfreien Postausgang gibt es noch nicht. Dabei muss das Ziel der Digitalisierung eines Fachverfahrens selbstverständlich sein, dass an keiner Stelle des Prozesses Papier bedruckt, eingereicht oder verschickt werden muss. Um allerdings rechtsgültig zu sein, müssen aktuell noch bestimmte Dokumente wie Schiffszertifikat, Schiffspapiere und beglaubigte Auszüge zwingend in Papierform erstellt und unterschrieben werden. Eine entsprechende Gesetzesänderung ist vorbereitet und soll bald in den Gesetzgebungsprozess kommen. Läuft es gut, sind die notwendigen Änderungen bis Ende 2021 durch. Vorher soll nach Plan noch bis Sommer 2021 die elektronische Aktenhaltung (eIP) an das System angeschlossen werden.

„Vorbereitet sind einige der voll-digitalen Erweiterungen bereits“, erklärt Christian Thomsen, Entwicklungsleiter des Projekts bei mgm. Sobald die Rechtslage es erlaubt, könnten diese in den Web-Umgebungen für die Antragsteller*innen und Fachanwender*innen freigeschaltet werden. Dennoch ist er sehr zufrieden mit dem Verlauf des Projekts. Vor allem weil das Grundziel, die Digitalisierung des Registers, weitgehend im Zeit- und Budgetrahmen pünktlich fertiggestellt werden konnte – trotz der unvermeidlichen, unvorhersehbaren Herausforderungen, die ein Projekt dieser technischen und rechtlichen Komplexität immer mit sich bringt.

Remote-Projektarbeit über Firmen- und Behördengrenzen hinweg

In Summe haben sechs Entwickler bei mgm in Hamburg und Dataport in Kiel/Altenholz sowie Hamburg vorwiegend mit vollem Zeiteinsatz auf dem Projekt gearbeitet. Hinzu kamen die Scrum-Rollen „Scrum Master“ und „Product Owner“ sowie der Projektleiter bei der Behörde für Justiz und Verbraucherschutz. Ein Lenkungskreis aus Vertreterinnen und Vertretern der Wirtschaftsbehörde, der Justizbehörde, des Amtsgerichts, des Personalrats sowie der Entwicklungsumsetzer mgm und Dataport bekam in Schulterblicken regelmäßig Zwischenstände gezeigt.

Bereits vor Corona erfolgte die agile Projektarbeit teilweise remote über Video- und Telefonkonferenzen. Arbeitsgrundlage war ein Jira-Board, das für alle Beteiligte der IT und der Fachabteilung jederzeit einsehbar war und bei den Reviews alle 14 Tage besprochen wurde. Dadurch konnten negative Auswirkungen durch die Pandemie fast vollständig vermieden werden.

Umgesetzt und entwickelt wurde die Entwicklung des Hamburger Schiffsregisters mit dem Entwickler-Framework Angular.

Die Schiffsregister in Deutschland sind weltweit einmalig, weil sie bei Gerichten geführt werden. Rechtlich und praktisch stellen sie eine Kreuzung aus den Grundbüchern für Immobilen und dem Fahrzeugregister des Kraftfahrtbundesamts dar: Im Schiffsregister selbst sind Details der Schiffe hinterlegt, vor allem aber den oder die Eigentümer und etwaige Hypotheken. Wie beim Straßenfahrzeug stellen die Register für Seeschiffe ein Schiffszertifikat, für Binnenschiffe einen Schiffsbrief aus, die beim Eigentümer verbleiben. Laut der deutschen Flaggenstaatverwaltung gibt es 17 Seeschiffsregister in Deutschland. Schiffe müssen in dem Register eingetragen werden, das für den gewählten Heimathafen beziehungsweise den Sitz des Eigners zuständig ist. Die Wahl der Flagge und damit des Landesrechts, unter dem ein Schiff fährt, kann davon unabhängig getroffen werden.

Bildquelle: Mediaserver Hamburg / DoubleVision – doublevision.me