„Wir müssen langfristig Vorteile für die Zusammenarbeit bieten“

Hamarz Mehmanesh, CEO und Gründer von mgm, spricht mit der Redaktion über die Entwicklung der IT-Industrie, heutige und künftige Herausforderungen von Projekthäusern und die Komplexität von Geschäftsanwendungen.

Redaktion: Hamarz, seit über 20 Jahren begleitest Du nun Softwareentwicklungsprojekte. Was hat sich in dieser Zeit verändert? Vor welchen aktuellen und künftigen Herausforderungen steht die Branche?

Hamarz Mehmanesh: Wir sehen seit einigen Jahren vor allem zwei Phänomene, die die Branche massiv beeinflussen.  Zum einen hat sich die Organisation des Entwicklungsprozesses drastisch gewandelt in Richtung agiler Vorgehensweisen und Methoden. Zum anderen ist die IT ein Teil der Kernstrategie großer Kunden und Konzerne geworden. Stichwort Digitalisierung: Die IT-Fähigkeiten entscheiden, ob ein Konzern lebt oder stirbt. Die Konkurrenz kommt längst nicht mehr nur aus der Branche, sondern auch aus dem Silicon Valley.

Die IT ist ein Teil der Kernstrategie großer Kunden und Konzerne geworden.

Redaktion: Wenn Unternehmen die IT als strategisch anerkennen, welche Auswirkungen hat das auf ihre IT-Abteilungen?

Hamarz Mehmanesh: Konzerne haben erkannt, wie wichtig es ist, eigene Entwicklungsabteilungen aufzubauen und selbst in der Lage zu sein, Individualentwicklungen in Produktion zu bringen. In den 90ern und Anfang der 2000er war das ähnlich, da wurden Softwareprojekte auch nicht unbedingt fremdvergeben. In den Konzernen liefen riesengroße Softwareprojekte. Man hatte jedoch völlig unrealistische Vorstellungen. Ein bis zwei Jahre wurden Modelle und Diagramme erzeugt, die dann in die Entwicklung „runter“ gegeben wurden. Höhere Millionenbeträge wurden in den Sand gesetzt. Danach legten Konzerne ihren Schwerpunkt darauf, erst einmal Geschäftsprozesse zu kennen und zu optimieren. Es wurden IT-Verwaltungsstrukturen aufgebaut, aber wenig echte Entwicklungskompetenz. Das war die goldene Ära der Fremdvergabe. Heute ist es anders: Konzerne holen sich wieder das tatsächliche Ingenieurswissen ins Haus.

Redaktion: Und sie sind dadurch in der Lage, eigenständig komplexe Software zu bauen?

Hamarz Mehmanesh: Ja, das sind sie vereinzelt schon. Und das liegt zu einem großen Teil an der Entwicklungsmethode. Die moderne Konzern-IT arbeitet im Zuge der agilen Bewegung mit den gleichen Methoden wie solide IT-Projekthäuser. Es gibt kleine Teams mit großer Eigenverantwortung. Fachexperten und technische Spezialisten arbeiten gemeinsam in einem Team mit kurzen Entscheidungswegen. Es gibt keine Dreijahrespläne mehr, sondern ein iteratives Vorgehen. Mittlerweile kommt eine jüngere Generation in die Verantwortung, die nicht davor zurückschreckt, große Anwendungen zu bauen. Die neuen Führungskräfte bringen tatsächliche Erfahrung aus der Projektabwicklung mit.

Redaktion: Was bedeutet das für IT-Projekthäuser wie mgm?

Hamarz Mehmanesh: Es reicht nicht mehr, gute Referenzen, über Jahre gewonnenes Know-how und hervorragende Ingenieure und Architekten zu haben. Wir stellen uns ständig die Frage, welche Mehrwerte wir Kunden neben der Erfahrung rund um die Projektabwicklung bieten können. Für uns ist das eine Herausforderung, gleichzeitig aber auch ein Antrieb, den Softwareentwicklungsprozess effizienter zu gestalten. Das Ziel ist klar: Wir müssen langfristig Vorteile für die Zusammenarbeit bieten, die über das bisherige Maß hinausgehen.

Es reicht nicht mehr, gute Referenzen, über Jahre gewonnenes Know-how und hervorragende Ingenieure und Architekten zu haben.

Redaktion: Auf welche Ansätze setzt mgm, um Softwareentwicklung effizienter zu gestalten?

Hamarz Mehmanesh: Ich messe unsere Fortschritte immer entlang der Leitlinien der industriellen Revolution: Spezialisierung, Automatisierung, Arbeitsteilung und Innovation. Wir sind klar spezialisiert auf die Erstellung von digitalen Geschäftsanwendungen. Im Bereich Automatisierung liegt ein wichtiger Schwerpunkt auf der Projektinfrastruktur und automatischer QA – Stichwort: DevOps. Spannend wird es bei der Arbeitsteilung: Wir haben dedizierte Teams aufgebaut, die auch projektübergreifend arbeiten und dadurch einen enormen Erfahrungsschatz besitzen. Dazu gehören das UI/UX-Team mit Fokus auf Device-unabhängigen Geschäftsanwendungen und das Web Application Security Team. Zusätzlich haben wir eine zentrale Einheit für die Qualitätssicherung, die zum Einsatz kommt, wenn es um Last, Performance, Skalierbarkeit und Testautomatisierung in großem Stil geht. Wir haben den Consulting-Bereich, der Change-Prozesse fährt, Projekte strukturiert und steuert. Das Besondere: All diese Teams sind eingespielt. Die Arbeitsweisen wurden über Jahre optimiert. Wir bringen für die Zusammenarbeit also nicht nur Experten mit, sondern auch bewährte Organisationsstrukturen.

Redaktion: Effizienz ist also in erster Linie eine Frage der Organisation?

Hamarz Mehmanesh: Nicht nur. Hier kommt auch der Punkt Innovation ins Spiel. Innovation bedeutet für uns, den Softwareerstellungsprozess selbst zu innovieren. Dabei setzen wir auf modellbasierte Entwicklung. Wir versetzen Business Analysten in die Lage, weite Teile der Software mit speziellen Tools in Modellen zu definieren. Das verkürzt den Entwicklungsprozess. Und sorgt dafür, dass die Software schnell auf veränderte Anforderungen anpassbar ist. All das bringen wir in die Zusammenarbeit ein. Wir stellen eine Plattform – im Sinne von Softwareplattform und Arbeitsweisen – bereit und bieten Kunden die Möglichkeit, Teil einer Community zu werden. Dabei sind wir zu hundert Prozent transparent in dem, was schon bereitsteht und was in Zukunft noch benötigt wird. Das ist eine ganz andere Basis für den Start eines neuen Vorhabens, als wenn ein neu eingekauftes Team von Freiberuflern auf der grünen Wiese loslegt.

Wir stellen eine Plattform – im Sinne von Softwareplattform und Arbeitsweisen – bereit und bieten Kunden die Möglichkeit, Teil einer Community zu werden.

Redaktion: Ein Trend in der Unternehmens-IT besteht heute darin, auf kleine unabhängige Teams und Microservices zu setzen. Wie bewertest Du diese Entwicklung?

Hamarz Mehmanesh: Der Trend zu Microservice-Architekturen bringt folgendes Phänomen mit sich: Die Entwickler hinter jedem Service dürfen entscheiden, welche Technologie sie nehmen, was sie deployen und wie sie deployen. Dazu muss man sagen: Die Komponentisierung, also die Aufteilung in Module, Services, Microservices – wie auch immer man es nennt –, ist kein Novum. Neu ist jetzt, dass man die Eigenständigkeit und Autonomie der Services so weit treibt, dass sie separat deploybar und verwaltbar sind. Das eigentliche Kernproblem bei der Entwicklung wird dadurch meiner Meinung nach aber nicht adressiert. Wenn fachlich getriebene Änderungen auftreten, ziehen sich die nötigen Anpassungen durch etliche Module. Sie sind dann noch schmerzhafter als wenn ich diese feingranularere Aufteilung und Separierung erst gar nicht vorgenommen hätte. Unsere Methode legt hingegen den Schwerpunkt darauf, die Fachlichkeit mit domänenspezifischen Modellen komplett von der Technik zu trennen. Moderne Software muss einfach schnell auf Änderungen reagieren können.

Unsere Methode legt den Schwerpunkt darauf, die Fachlichkeit mit domänenspezifischen Modellen komplett von der Technik zu trennen.

Redaktion: Die Fachlichkeit ist bei Geschäftssoftware also der Knackpunkt?

Hamarz Mehmanesh: Ja, das kann man so sagen. Geschäftsdomänen sind äußerst komplex. Das Wissen ist auf viele Köpfe verteilt. Es gibt kaum Standards. Jeder Kunde hat seine eigene Terminologie und Logik. Das Geschäft ändert sich schnell und häufig – sei es durch neue Zahlungsarten, Vertriebswege oder kollaborative Ansätze. Normalerweise wird die Fachlichkeit auf vielen Ebenen in vielen Repräsentationsformen erfasst. Unser Weg sieht eine einzige Repräsentation vor, die klar von der Technik getrennt und von der fachlichen Seite aus anpassbar ist – sogar ohne Entwickler.

Redaktion: Angesichts all der Bestrebungen, um effizientere Softwareentwicklung: Steht in der IT-Branche eine „industrielle Revolution“ erst noch bevor?

Hamarz Mehmanesh: Die IT hat lange Zeit auf einer glücklichen Wolke mit riesigen Freiräumen gelebt. Ich glaube, dass der Druck, sich zu verändern, wachsen wird. Man muss sich nur anschauen, wie es in anderen industriellen Bereichen läuft. Wenn ein Maschinenbauer ein neues Produkt auf den Markt bringt, muss er die Produktionskosten in den nächsten Jahren halbieren, um zu überleben. Die IT hat solche Zwänge bisher nicht gehabt. Sie werden aber kommen. Wir machen deshalb seit Jahren nicht nur reine Projektabwicklung, sondern investieren konsequent in Forschung und Entwicklung sowie projektübergreifende Expertenteams. Unterm Strich müssen wir als Dienstleister einen Schritt voraus sein. Das macht uns auch attraktiv für Bewerber und Experten auf dem Markt. Wir leisten in vielen Bereichen rund um den Entwicklungsprozess Pionierarbeit. Für unsere Kunden sehen wir uns deshalb auch nicht als reine Projektabwickler. Sondern als langfristigen Partner für die erfolgreiche Digitalisierung ihres Geschäfts.